FORSCHUNGEN IN NOREIA 



Von Prof. Dr. Walter SCHMID;

aus: "Tagespost" Nr. 268 vom 28. September 1930, Seite 17

StLA Nr. 273


Das vorrömische Noreia
In der keltischen Königsstadt wurde diesmal der Spaten abermals in der Nähe des Königshauses angesetzt, um die genaueren Siedlungsverhältnisse des Lusenbodens aufzuklären. Es wurden weitere sieben Gebäude durchforscht, die alle nur in geringer Entfernung, manchmal kaum in ein bis zwei Metern Abstand voneinander liegen.
Besonders auffallend ist die gegenseitige Lage von vier Häusern, die knapp nebeneinander längs einer geraden Gasse liegen. Ein Machtwille war es, der diese gerade Straßenziehung angeordnet hat. Die Gebäude gehören alle der gleichen spätkeltischen Periode an, wie die laténezeitlichen und frührömischen Gefäßreste beweisen. Die meisten Gebäude sind nicht durch Brand zugrunde gegangen, sondern langsam verfallen, erhalten daher auch nicht übermäßig viele Überreste des Hausrates, weshalb ihre klare Deutung manchmal Schwierigkeiten begegnet. Aus dem Fehlen der Herde in einigen Häusern darf man schließen, daß sie Vorratshäuser und Wirtschaftsräume gebildet, andere mit guterhaltenem Herd dem Gefolge des Königs als Wohnung gedient haben. Ein großes Gebäude (14,95 x 14,45 Meter) durchbricht mit seinen vier Räumen, darunter einem gepflasterten, das Grundrißschema des üblichen Wohnhauses und bedeutet eine Weiterentwicklung des Haustypus in der späten keltischen Zeit, wie man sie bereits in Windischgraz und Karlstein bei Reichenhall beobachtet hat.
Bedeutungsvoll ist, daß die ältere norische Siedlung aus der Zeit von 500 bis 200 v. Chr. sich im Schutz der Hänge ausdehnt, während die Taurisker in stolzer Sicherheit mit ihrer viel größeren Siedlung bis an den Rand der Terrassen sich ausbreiteten. Versuchsgrabungen, die der Feststellung der Siedlung galten, wurden im Bereich des heutigen Dorfes bis zum Kreuzacker am Ostrand der Siedlung auf den Feldern der Herren Bürgermeister Anton Pogatschnigg, Johann Moschtegel und Robert Kacher vorgenommen, denen ich herlich für ihr Entgegenkommen danke, vor allem aber dem Besitzer des Lusenbodens, Herrn Friedrich Pogatschnigg, der mir alljährlich in freundschaftlicher Weise seine Felder zur Verfügung stellt.

Das römische Noreia in Einöd

Plinius hat in seiner Naturgeschichte die Nachricht aufbewahrt, daß im Verlauf der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. das lateinische Noreia untergegangen sei. Das Unheil, das über Noreia hereingebrochen, konnte allerdings, wie die römischen Grabdenkmäler des 2. Jahrhunderts an der Pfarrkirche St. Margarethen in Noreia lehren, das Leben in den späteren Jahrhunderten nicht völlig vernichten, aber die Blüte von Noreia war geknickt, umso mehr, als die neue Landeshauptstadt Virunum am Zollfeld den gesamten Handel an sich zog. So konnte es geschehen, daß die Römer, als sie den neuen Weg durch die Einöd und die Klamm anlegten, der Poststation in Einöd den Namen der in der Nähe gelegenen alten Landeshauptstadt gaben (wie vor nicht langer Zeit auch die heutige Station Mariahof-St. Lambrecht den Namen St. Lambrecht allein getragen hat). Die Entfernung der Poststation Noreia von Virunum ist in der Peutingerschen Reisetafel mit 27 römischen Meilen (40 Kilometern) angegeben, die genau zum Herrenhaus der Holzstofffabrik in Einöd führt. Eine genaue Beobachtung des Geländes wies noch einzelne kurze Strecken des antiken Straßenzuges nach, die sich durch ihre muldenförmige Gestalt verrieten und die auf die Einsenkung vor dem Herrenhaus hinführten. Auf dem Feld oberhalb der Pappelallee wurde mit gütiger Erlaubnis des Besitzers, Sr.Exzellenz des Grafen K. Lanckoronski, der Spaten angesetzt, der alsbald römische Gefäßreste und die Reste des römischen Postgebäudes zutage förderte (Länge 20,6 Meter, Breite 15,9 Meter). An der Südfront gliederte sich das Haus in drei Räume, von denen der mittlere eine Küche enthielt, deren Herd noch in sehr guter Erhaltung vorgefunden wurde. Eine erhöhte Steineinfassung umschloß den mit Ziegeln gepflasterten Herd, dessen vorderer Rand mit einer Reihe halbkreisförmig abgerundeter Kalkplatten versehen war. In der Nähe des Herdes lagen die Reste einer Hausmühle sowie eine Schmiede und Esse, Anlagen, die besonders bei einer Poststation notwendig waren, um gelegentliche Wagenreparaturen durchführen zu können. In der Nordwestecke befand sich der Stall.

Ein größerer Raum war geheizt; erhalten war noch der untere Estrich der Heizanlage, auf dem Firstziegel lagen, die die Wärme in dem Zwischenboden und in den viereckigen Hohlziegeln verteilten, durch die die Wände miterwärmt wurden. Der heizbare Raum war mit einer Stukkatur versehen, von der sich ein kleiner Rest noch erhalten hat. Aus diesem Raum, an dessen Schwelle sich noch ein eiserner Beschlag der Türangel gefunden hat, führte ein gepflasterter Ganz zu der unregelmäßig gebildeten Nordostecke des Hauses, in der eine Treppe zum oberen Stockwerk geführt haben wird. Unter den zahlreichen Gefäßresten zeigen die einfacheren und ältesten Gefäßformen eine Fortentwicklung jener Gefäße, die im vorgeschichtlichen Noreia als jüngste erscheinen und dadurch eine Verbindung zur älteren Siedlung herstellen. Daneben erscheinen unter den Sigillatresten Formen aus gallischen Fabriken, die damals bereits in Noriku Eingang fanden und die italienische Sigillata zu verdrängen begannen. Gegenstände aus Eisen, ein Hammer, Messer, ein Haustorschlüssel, der an der Ostwand gefunden wurde, eine Bronzefibel des 1. Jahrhunderts geben zusammen mit einer Bronzemünze Vespasians (69 bis 79) und Caracallas (180 bis 192) ein Bild der bescheidenen Provinzialkultur des 1. und 2.Jahrhunderts n.Chr. Eine besondere Bedeutung gibt aber dem Posthaus die Anlage eines gepflasterten Trottoirs an der Westfront, das 4,20 Meter breit und außerdem noch mit 80 cm breiten Randsteinen versehen war, die im Norden und Süden durch erhöhte Steine die äußere Begrenzung des Trottoirs anzeigten. An das Trottoir schloß die römische Reichsstraße von 6,10 Meter Breite an, die aus Bruchschotter sorgfältig aufgeführt, 1 Meter hoch und mit einer Wölbung von 12 cm Höhe versehen war. Es ist mir gelungen, den römischen Straßenzug noch in mehreren Ausgrabungen zu beobachten, die gelegentlich der Kabellegung durchgeführt wurden. Überall lag der römische Straßenkörper unmittelbar auf dem gewachsenen Boden oder Flußschotter, nördlich des Wildbades auf dem mit Lehm vermischten Schotter. Es führte daher in vorrömischer Zeit keine Straße durch die Einöd, erst die Römer haben die Klamm, die früher nur dem Olsabach den Weg freigab, gangbar gemacht. Daraus folgt, daß die Kimbern bei ihrem Zug nur den uralten Fernweg über Perchau, Greith, Mühlen, längs des Hörfeldes mit Wagen und Troß benützen konnten. Der Raum von Neumarkt scheidet daher als Ort der Kimbernschlacht aus. Im Zug dieser Straße wurden noch zwei Meilensteine gefunden, jener von Krumfelden bei Treibach mit der Entfernung von 15 römischen Meilen (22,2 Kilometern) und der andere von St. Georgen mit der Entfernung von 32 römischen Meilen (47,36 Kilometern), die mit der Entfernungsangabe des römischen Noreia in der Peutingerschen Reisetafel ganz gut übereinstimmen.Weitere Untersuchungen wurde noch auf den Äckern von Lind mit gütiger Erlaubniss Seiner Gnaden des hochwürdigsten Herrn Abtes Wilhelm Zöhrer von St. Lambrecht durchgeführt. Die Tradition bezeichnete die Hammerlhöhe als den Fundort einer größeren Zahl von Statuen und Denkmälern, die Pater Cölestin Kodermann im Jahre 1858 ausgegraben hat. Trotz zahlreicher (70) Versuchsgräben konnte ich keine Spur römischer Überreste mehr feststellen, doch erreichte ich noch einen Augenzeugen, den heute 70jährigen Franz Fritz in Noreia, der im Jahre 1888 als Knecht in Lind eine Statue auf dem Rand der Hammerlhöhe ausgrub, nach dessen Angabe außer der Statue keine Überreste des Grabes mehr erhalten waren. Der wahrscheinlichste Fundort der übrigen Statuenfunde, die sich heute im Schloß Lind befinden, konnte auf dem Kartoffelfeld in nächster Nähe des Schlosses Lind festgestellt werden. Eine spätere Grabung dürfte Klarheit bringen. Das Lindfeld, auf dem während des Krieges zahlreiche Schützengräben angelegt wurden, ohne daß Funde beobachtet werden konnten, war in römischer Zeit nicht besiedelt, ebenso wie eine Grabung in Sankt Georgen auf einem Acker des Herrn Köck keine Überreste von Pflasterungen "so groß wie von einem Forum" zutage gefördert, sondern nur einen stark steinigen Acker gefunden hat, ohne den Schotter als antik erklären zu können.

Die Grabungen in Noreia waren daher sehr erfolgreich. Es wurde in Einöd das römische Postgebäude durchforscht, das verwandte Züge mit der 1917 auf der Höhe des Birnbaumerwaldes ausgegrabenen Poststation in alpe julia aufweist, die Zahl der Gebäude im vorgeschichtlichen Noreia hat sich auf 18 erhöht, von denen auf dem Lusenboden allein 10 stehen, ein deutlicher Beweis der dichten, geschlossenen städtischen Siedlung der alten Königsstadt Norikums.

Die Ehre, dieses erfreuliche Resultat ermöglicht zu haben, gebührt jedoch dem vaterländischen Opfersinn und Verständnis der Bankinstitute, der großen Kaufhäuser, Betriebe und Unternehmungen der Stadt Graz, die mir neben der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Archäologischen Institut hochherzig die Mittel zu dieser Erforschung gespendet haben.