NEUE FORSCHUNGEN IN NOREIA 

Von Prof. Walter SCHMID;
Abgedruckt aus: "Tagespost" Nr. 112 vom 24. 4. 1930, Seite 1
StLA Nr. 271

Die günstige Witterung des heurigen Frühjahrs hat eine Weiterführung der Grabungen in den letzten Wochen vor Ostern möglich gemacht. Es wurde auch diesmal als Ziel festgehalten, durch Forschungen auf weiter auseinan­derliegenden Terassen von Noreia die bisherigen Feststellungen über Umfang und Dichte der vorgeschichtlichen Siedlung zu erweitern. Wie im Herbst wurden auch diesmal die wissenschaftlichen Arbeiten wesentlich erleichtert durch die verständnisvolle Förderung der Bevölkerung Noreias, insbesondere durch die Herren Friedrich Pogatschnigg und Vinzenz Zenz, die mir Felder, die im Herbst noch mit Feldrucht bestanden waren, bereitwilligst zur Verfügung stellten. So konnte auf dem Lusenboden, in geringer Entfernung vom Königshaus, ein großes Gebäude (Länge 13,70 Meter, Breite 10,11 Meter) erforscht werden, an das in späterer Zeit ein kleiner Anbau (Länge 6,90 Meter, Breite 3,30 Meter) angeschlossen wurde. Die Sockelunterlage war aus großen, stellenweise dicht geschlossenen Steinreihen aufgebaut, in ihrer Richtung lagen stärkere Streifen von Holzkohlenresten, die die Richtung der verbrannten Blockwände andeuteten. Über einen zwei Meter breiten, steingepflasterten Vorplatz betrat man den Vorraum und durch eine in der Mittelwand befindliche Torlücke von 90 cm den Herdraum, dessen länglicher, 1,00 bis 1,20 Meter breiter, leicht vertiefter Herd mit kleinen Steinen eingefaßt und an den Ecken abgerundet war. Vor dem Herd lag eine ovale, steingefaßte Herdgrube, in der wie im Herd noch reichliche Reste von Asche und Holzkohle lagen; eine zweite geräumige Aschengrube befand sich an der Außenwand an der Nordwestecke des Hauses. Neben dem Herd lag ein großer Stein, der Sitzplatz, und an der wärmeren Südwestwand deutete eine Reihe locker gestellter Steine die Lagerstätte an, die wahrscheinlich durch eine leichte Zwischenwand vom Herdraum abgetrennt war.

Herr O. Hinterhofer in Mühlen hat die interessanten Einzelheiten des Hauses photographisch festgehalten.

Innerhalb dieses Hauses wurden zum erstenmal zwei Siedlungsperioden beobachtet:
In Sockeltiefe (1,40 Meter) lagen junghallstättische Scherben und ein kleines Bruchstück eines Gefäßes der jüngsten ***Esteperiode***, in der durch eine Zwischenschichte deutlich getrennten jüngeren Periode keltische Gefäßreste mit Kammstrichornamentik, Wellenlinien und fortlaufende Reihen von kleinen Rechtecken, in der obersten Lage bereits vermengt mit Resten von ***Sigillatagefäßen***und gefirnißter römischer Keramik.

Die Schichtung und die Funde zeigen, daß Noreia bereits in der jüngeren Hallstattzeit besiedelt war. Das ist eigentlich selbstverständlich, da der illyrische Name der Stadt Noreia eine Siedlung der Noriker vor der Ankunft der Taurisker (um 200 v.Chr.) voraussetzt. Die Grabungen im Herbst 1929 haben zufällig nur den keltischen Teil der Siedlung, die Neustadt, getroffen, die an der Peripherie der Terrassen lag, indessen die norische Altstadt mehr in den Schutz der inneren Hänge der Terassen gerückt war.

Unter den gegen das Vorjahr bedeutend zahlreicheren Funden wurden gerade in der älteren Schicht eiserne Messer, reichliche Eisenschlacke und schließlich das Stück eines Eisenbarrens gefunden, das an den Enden abgehackt, für die unmittelbare Verarbeitung in der Schmiede bestimmt war. Fest steht demnach, daß bereits die illyrischen Noriker die Erzverhüttung in der jüngeren Hallstattzeit begonnen und die keltischen Taurisker sie fortgeführt haben.

Das Vorkommen ausgezeichneter Spateisenerze in der unmittelbaren Umgebung von Noreia, die hier zur Verarbeitung gelangten sowie die wiederholt von den Herren Walgram und Walzer in der Nähe ihres Besitzes festgestellten Schlackenhügel geben der begründeten Hoffnung Raum, daß im Verlauf weiterer Grabungen auch die Schmieden und Werkstätten der Erzverarbeitung an den Tag kommen werden.

Reste älterer Siedlung der Hallstattzeit wurden auch auf dem sogenannten Kreuzacker im Südosten der Stadt entdeckt. Es wurden vier ein- und zweiräumige Häuser durchforscht (10,45 m x 5,60 m; 9.45 m x 5,20 m; 6,80 m x 5,80 m; 6,40 m x 3,80 m), die dicht gedrängt beieinander standen, eine Erscheinung, die auf jeder Terrasse beobachtet wurde.

Im Verlauf einer knapp einmonatigen Grabung sind nun in Noreia elf Häuser erforscht worden, darunter zwei große Bauten, neben dem tauriskischen Königsbau ein geräumiges norisches Haus. Die intelligenten Bergbauern von Noreia, durch die Grabungen im vorigen Herbst belehrt, haben beim Pflügen eifrig den Boden beobachtet und bereits eine größere Anzahl von Hausresten festgestellt. Auf diese Weise hat die Bevölkerung des heutigen Noreia selbst zur Klärung der Dichte der Besiedlung wesentlich beigetragen. Man darf mit einer Zahl von rund einem halben Hundert Häusern rechnen.

Die ununterbrochene Besiedlung des Ortes seit der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends ist erwiesen, der geschlossene städtische Charakter von Noreia neuerdings bestätigt. Die alte Landeshauptstadt lag im Herzen von Norikum, im Mittelpunkt der norischen Taurisker. Prof. R. Egger hat zwar letzthin, am 3. April, in einem Vortrag in Klagenfurt ("Freie Stimmen" vom 6. April, "Kärntner Tagblatt" vom 5. April) Noreia wegen seiner alpinen und abseitigen Lage die Eignung als zentralen Mittelpunkt abgesprochen. Egger übersieht, daß, unmittelbar an Noreia vorbei, durch das Hörfeld über Mühlen und Perchau der uralte bedeutende Fernweg von Italien durch Mittelkärnten über Hüttenberg, den Hohentauern und Pyhrn an die Donau und nach Mitteleuropa führt, einer der wichtigsten Pässe der Ostalpen. Der Weg durch die Einöd war in der vorgeschichtlichen Zeit versumpft und in der engen Klamm unwegsam. Erst die Römer haben einen Teil der Straße nach Treibach-Friesach-Einöd umgelegt, die Klamm fahrbar gemacht und haben den Namen des vorgeschichtlichen Noreia an die neue Poststation in Einöd übertragen.Um Noreia noch einigermaßen, wenn nicht schon für Hohenstein, so doch für Kärnten zu retten, schränkt Egger das Gebiet der Taurisker, in dem Noreia lag, auf Mittel- und Oberkärnten ein. Im Jahr 1916 hat Egger (Frühchristliche Kirchenbauten, S.2) ihre Sitze zwischen dem Birnbaumerwald und dem Savegrenzland gegen ***Dakes*** hin, mit dem Hauptort Nauportus festgelegt.

Diese Annahme ist in den Quellen gar nicht begründet. Sicher ist, daß das engere Stammesgebiet der Taurisker, die über Norikum herrschten, Ober- und Mittelkärnten (Teurnia), Obersteiermark über die Tauernkette hinaus, der sie den Namen gegeben, und Oberkrain mit dem Laibacher Becken einschließlich Nauportus - Oberlaibach - umfaßte. Die "tauriskische Siedlung Nauportus" (Strabo) bildete als Hafenort und Stapelplatz der Waren, die von Aquileja über den Birnbaumerwald gebracht und in Oberlaibach auf Schiffe verladen wurden, wegen ihrer Durchfuhrzölle eine wichtige Einnahmequelle für die Taurisker, die solcherart den Handel nach den Donauländern beherrschten.

Die alpine, doch zugleich klimatisch außerordentlich begünstigte Lage Noreias ist durch Gold- und Eisenreichtum der Umgebung vollauf begreiflich. Die hohe Lage zudem ist bei vorgeschichtlichen Siedlungen ganz selbstverständlich. Wer denkt nicht an die steilen Gipfel der Gleichberge bei ***Römhild*** oder an den sturmgepeitschten, 810 Meter hohen Mont Benoray (Bibracte) bei Autum, auf dem Cäsar selbst sein Winterquartier aufschlug. Gerade Bibracte (vgl. dazu den ausgezeichneten Bericht Dragendorffs im "Arch. anzeiter" 1910) bietet ein lehrreiches Beispiel dafür, wie Lokalpatriotismus den Tatbestand verwirren kann. Bussiot, der Erforscher von Bibracte, hatte viel zu kämpfen, bis es ihm gelang, seine heute allgemein anerkannte Ansicht durchzusetzen. Es kann auch bei Noreia keine kärntnerische oder steirische, sondern nur eine wissenschaftliche Lösung durch den Spaten geben. Daß dabei die mißglückte mystische Verknotung der Vierbergepilger mit dem Noreiaheiligtum von Hohenstein der verdienten Vergessenheit anheimfallen muß, bedarf keines Wortes mehr.