DIE
LAGE NOREIAS -
Eine Erwiderung
Von Dr. Emil LORENZ - Abgedruckt aus: "Tagespost" Nr. 359, Graz, 29. Dezember
1929, Seite 19 + 20, StLA Nr. 267 (a+b)
Die
Wiedergabe meines Vortrages über Noreia und das keltische Nationalheiligtum
im Glantal in der "Tagespost" vom 18. Dezember bildet die Unterlage der
kritischen Bedenken, die Professor Dr. Walter Schmid in der Weihnachtsnummer
dieses Blattes gegen meine Aufstellungen vorbringt. Es ist zu bedauern,
daß die hier wie auch sonst in jedem wissenschaftlichen Streit so
erwünschte und der Sache förderliche Diskussion an eine höchst
summarische Wiedergabe anknüpft, bei der alle oder fast alle ausschlaggebenden
Einzelheiten wegbleiben mußten. Zudem erscheint eine wissenschaftliche
Auseinandersetzung nicht Sache einer Tageszeitung und sie hätte von
mir aus auch den Weg dorthin nicht genommen, wenn nicht im Anschluß
an die Funde bei den Grabungen Walter Schmids sofort eine Bewegung eingesetzt
hätte, die - in der Annahme, die Noreiafrage sei nun endgültig
gelöst - durch die Errichtung eines Denkmales gewissermaßen
den Schlulßpunkt unter die Diskussion zu setzen sich anschickt. Nur,
um vor dieser Voreiligkeit zu warnen, bin ich mit dem schon lange vor dem
Bekanntwerden jener Grabungen gewonnenen Ergebnissen meiner Noreiastudien
an die Öffentlichkeit getreten. Was die Bemerkungen Prof.Schmids im
einzelnen betrifft, so bemängelt er zunächst, daß die Vierbergefahrt
Hohenstein in dem ich das keltische Vernemeton Norikums erblicke, gar nicht
berührt. das ist auch gar nicht nötig, es würde sogar dem
Sinne der Fahrt widersprechen, die sich ja, nicht im Zickzack, wie Prof.
Schmidt meint, sondern im Sinne des Sonnenlaufes von Osten, dem Helenenberg,
nach Süden, dem Ulrichsberg, von dort westwärts nach dem Göseberg
und nordwärts zum Laurenziberg bewegt. Diese Berge sind, wie noch
die alten Kärntner Landbeschreiber immer wiederholen, die vier höchsten
Berge des Landes, doch würden sie diesen Namen eben nur von Hohenstein
aus und für dessen Umgebung verdienen, wo sich die Verbindungslinie
des Ost- und Westberges mit der des Süd- und Nordberges unter einem
rechten Winkel schneidet. Man muß, wie ich es durch Lichtbilder erläutert
habe, diesen unverbleichlichen landschaftlichen Eindruck erlebt haben,
um die beherrschende zentrale Lage Hohensteins für den Vierbergelauf
würdigen zu können. Aber dieser Platz ist nicht nur eine geographische
Mitte, sondern eben auch eine kultische. Noreia-Widmungen gibt es auch
außerhalb dieses Gebietes, aber jedenfalls nirgends in solcher Zusammendrängung
auf einem engen Raum wie im Gebiet Hohensteins. Drei Altäre und eine
Bauinschrift befinden sich jetzt im Landesmuseum in Klagenfurt, eine andere
Inschrift eingemauert in der Kirchenruine auf dem Ulrichsberg. Eine weitere
Widmung befand sich seinerzeit im Feitritzgraben. Sie ist inzwischen zerstört
worden, aber im Mommsenschen Sorpus (III, 4807) noch angeführt. Der
Beobachtung nach ist die Tatsache, daß jener Verwalter der norischen
Eisengruben der für einen Pächter und zwei weitere Verwalter
der Hälfte der norischen Eisengruben ein Gelübde eingelöst
hat, dies gerade in Hohenstein tun mußte, wenn wirklich nur in der
Nähe des obersteirischen Noreias Eisengraben bestanden haben sollten.
Nun befanden sich solche noch vor hundert Jahren auch im boeren Glantal,
eine Tatsache, die freilich nicht allgemein bekannt ist. Daß das,
was bisher in Hohenstein ans Licht getreten ist, nur römischer Herkunft
ist, darf uns nicht beirren. Bekanntlich haben die Römer Wert darauf
gelegt, die Kulte der unterworfenen Völker weiter zu pflegen und so
werden im Lauf der Zeit an die Stelle der jedenfalls primitiven Kultheiligtümer
der Landeseinwohner römische Bauten getreten sein. Daß übrigens
sogar von einem keltischen Kultbau noch ein Rest vorhanden ist, darauf
machte mich nach dem Vortrag Dr. Jantsch aufmerksam. Es ist ein Flachrelief
an der Kirche von Puist, das eine weiblich gebildete Sonne darstellt, mit
je einem Pferd zu beiden Seiten: das indogermanische Dioskurenmotiv. Die
Kultstätte von Hohenstein stellt sich uns demnach sowohl als geographischer
als auch als kultischer Mittelpunkt des Vierbergegebietes dar. Das Vierbergelaufen
aber hatte den zweck, die im Frühjahr wieder erwachende Kraft der
Sonne durch nachahmende Magie zu stärken und für das Gedeihen
des Lebens, insbesondere für die Fruchtbarkeit des Bodens, zu sichern.
Die Begehung bewegt sich um den Mittelpunkt Hohenstein mit dem Kultheiligtum
der Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin Noreia in analogem Sinne wie
die Bewegung der Sonne um die Erde. Das Vorhandensein von Nemeta in Kärnten
- einschließlich dieser keltischen Bezeichnung - ist durch die Station
der Tabula Peutingeriana Tasinemetum erwiesen, die auf der Höhe von
Sternberg, westlich von Velden am Wörthersee anzusehen ist. Warum
die Heranziehung der religiösen Gebräuche anderer Keltenstämme,
wie der Gallier in Frankreich und der Galater in Kleinasien, bei der Erörterung
der Noreiafrage beiseite bleiben soll, wie Prof. Schmidt vorschlägt,
ist nicht einzusehen. Bei der Mangelhaftigkeit unserer Quellen wird man
um Analogieschlüsse nicht herumkommen und die ausdrückliche Nachricht
Cäsars von dem Zentralheiligtum der Kelten in Gallien, daß nämlich
der betreffende Ort als die Mitte ganz Galliens angesehen wird, dürfte
für unseren Vierberge-Mittelpunkt eine nicht leicht abzuweisende Analogie
darstellen. Daß mit einem solchen Nemeton eine größere
vorgeschichtliche Siedlung verbunden sein mußte, ist nicht zwingend.
Schon der Umstand, daß sowohl Cäsar wie auch Strabo - jener
für die Gallier im Gebiete der Carnuten, dieser für die Galater
in Kleinasien - dem Drynemeton oder Vernemeton keinen individuellen Namen
geben, weist auf einen heiligen Bezirk hin, in dem die Druiden, in Galatien
die Abgesandten der Stämme und Tetrarchien, jährlich einmal zu
einem Konzil oder zu einer Gerichtstagung zusammenkamen. Natürlich
mußte sich mit der Zeit aus einem solchen heiligen Bezirk eine Siedlung
entwickeln und es lag wohl nache, daß diese den Namen der dort verehrten
Gottheit erhielt. wenn wir Noreia nach Hohenstein versetzen, so wird diese
Siedlung an den Rändern des heiligen Haines entstanden sein, vorzüglich
in einer Höhenlage, wie sie etwa dem beherrschend ins Glantal herabblickenden
Sörg zukommt. Wir müssen freilich gestehen, daß wir mit
dem Nachweis einer größeren Siedlung noch nicht so weit sind
wie Prof. Schmid durch die Ausgrabungen von sechs Gebäuden in St.
Martin am Silberberg seit einem halben Jahr zu sein glaubt. Die Ansetzung
Neumarkts als Noreia gründete sich bis zu der Entdeckung Prof. Schmids
einzig auf die Tabula Peutingeriana mit ihrer Ansetzung von zwei Noreiastationen,
die an die kärntnisch-steirische Grenze führen. Aber jene Tabula
ist nahezu fünfhundert Jahre jünger als die Schlacht bei Noreia.
Ich habe die vermittelnde Hypothese aufgestellt, daß dieses obersteirische
Noreia seinen Namen erhielt, als an die Stelle der Stammen- und Bauverfassung,
die noch zur Zeit der Imbernschlacht in Geltung war, eine zentrale Königsgewalt
trat, mit einem norischen Gaufürsten aus Obersteiermark als König,
dessen Regierungssitz den Namen des bisherigen Vernemetons im Glantal übernahm.
Die Kärntner Historiker, einschließlich des bekannten Archäologen
Prof. Dr. Egger in Wien, gehen gar nicht so weit, sondern stellen das obersteirische
Noreia in Parallele mit der häufigen Erscheinung, daß die Landesgöttin
oder ein im Lande viel verehrter Heiliger oben mehreren Orten den Namen
geben kann. Auf die Angabe Strabos läßt sich die Versetzung
Noreias nach Obersteier nicht stützen. Der Reiseweg, der dem bei ihm
genannten Abstand von Aquileia zugrunde liegt (1200 Stadien), führt
nicht über das Isonzotal und den Predil, sondern wie ein richtiger
Kaufmannsweg über das Tagliamento- und Fellatal ins Kanaltal und ins
Villacherfeld. Außerdem steht keineswegs fest, welche Art von Stadien
der Distanzangabe zugrunde liegt. Es gibt mindestens vier Arten von Stadien,
deren Größe zwischen 200 und 250 einfachen Schritten liegt.
Nehmen wir aber das Stadiun, was das wahrscheinlichste für die strabonische
Angabe ist, mit 239 Schritten oder 177,6 Metern an, so bleibt noch immer
die Frage offen, wie im einzelnen die Straßen verliefen, auf denen
die Entfernung von 1200 Stadien anzulegen wäre. Ich verweise hier
auf die von Prof. Egger hergestellte Konkordanz zwischen dem Antoninischen
Reisebuch und der Tabula Peutigeriana für die Strecke Aquileia-Virunum.
Sie gelangt mit 207 Kilometern auf den antiken Straßenzügen
bis Virunum. 213 Kilometer entsprechen aber schon den 1200 Stadien Entfernung
von Aquileia bis Noreia. Wo liegt da Neumarkt oder St. Margareten? Mnn
kommt mit dem ältesten und kürzesten stadion auf den antiken
Straßenzügen zum Ostrand des Ossiacher Sees oder bis Sternbert,
mit dem jüngsten und größten bis Hochosterwitz, mit dem
Stadion des Polybius ins obere Glantal. Eben diese Tatsache hat ja schon
in früherer Zeit dazu verleitet, die Entfernungsangabe des Strabo
zu korrigieren und statt 1200 Stadien deren 1500 setzen zu wollen, alles,
um die Ansetzung Noreias in die Obersteiermark gemäß der Tabula
zu ermöglichen. Hiebei wird immer wieder vergessen, daß zwischen
dieser und Polybius fast ein halbes Jahrtausend liegt und daß Noreia
schon vor den älteren Plinius (gestorben 70 n.Chr.) zu den untergegangenen
Städten im Alpenlande gerechnet wird. Die Angaben Appians und Strabos,
die sich auf die Schlacht bei Noreia beziehen, finden ihre ungezwungenste
Ausdeutung, wenn wir eine erste Aufstellung des römischen Heeres an
der italienischen Grenze, etwa im Kanaltal, ein weiteres Vorrücken
des Konsuls ins Villacher Feld annehmen, wodurch Drautal und Gailtal gesperrt
erscheinen; und wenn wir den Empfang der germanischen Gesandten ebendort
und den längeren Weg, den die Gesandten zurückgeschickt wurden,
sowie den kürzeren Weg, den der Konsul zog, in den Senkungen des Ossiacher
Sees und des Wörthersees suchen, die bei St. Veit an der Glan zusammenstoßen.
In dessen Nähe ist auch das Schlachtfeld zu suchen. Das wäre
sogar auch dann der Fall, wenn das eigentliche Noreia in Obersteiermark
läge; denn, um Italien vor einem Einfall zu bewahren, brauchte der
Konsul nicht fast bis an den Hauptkamm der Alpen vorzurücken. Zumal
in einem von römischen Herren noch nicht durchzogenen Gebiete, dessen
Bewohner erst kurz vorher in das im übrigen so fragliche Verhältnis
der Gastfreundlichkeit mit den Römern getreten waren, dessen Einseitigkeit
Appian mit bezeichnenden Worten hervorhebt. Die Schlacht kann selbst dann
ncoh eine Schlacht von Noreia genannt werden, wenn dieser Ort vom Schlachtfeld
weit entfernt la, da in einem Lande mit so wenigen Städten ein nähergeleger
Ort für die Bezeichnung nicht zur Verfügung stand. Ich muß
es mir versagen, die Zeugen anzuführen, die alle für ein kärntnisches
Noreia und insbesondere für die Ansetzung des Schlachtfeldes in Mittelkärnten
sprechen. Es findet sich darunter auch Mommsen, der selbst das Land bereist
hat, zuletzt der Göttinger Historiker Ulrich Kahrstedt, der sogar
noch weiter nach Süden rücken möchte. Es würde dies
die Geduld der Leser eines Aufsatzes in einer Tageszeitung erschöpfen.
Dr. Emil LORENZ